Der Künstler


Erste Bekanntschaft mit Bauernmalerei

 

Als Elektromonteur kam Jakob Binder in so manche Bauernstube im Appenzellerland und sah dort die teils uralten Senntumbilder und die sogenannten „Bödeli", die ihn vom ersten Blick an verzauberten. Gerne hatte er so ein Bild gekauft, doch das hatte ihn zwei bis acht Monatslöhne gekostet und das konnte er sich damals nicht leisten. So machte Jakob Binder aus der Not eine Tugend und begann selbst Senntumbilder und Bödeli zu malen. Ein Bödeli" ist eine Scheibe aus Ahornholz, auf die eine Alp- fahrt gemalt wird. Diese Scheibe wird bei der Alpfahrt als zweiter Boden am Melkeimer befestigt, auf der Alp entfernt und der Eimer zum Melken verwendet. 1m Herbst wird der Eimer gereinigt, das bemalte „Bödeli" wieder am Eimer befestigt und vom Sennen, bekleidet mit der gelben ledernen Kniehose, auf der linken Schulter nach Hause getragen. Das „Bödeli" ist verständlicherweise der grosse Stolz eines jeden Sennen und es kommt darauf an, von welchem Maler es stammt. Verschiedene Personen entdeckten schon damals das Talent Binders und so verschenkte oder verkaufte Binder gegen einen kleinen Anerkennungsbetrag seine Bilder an interessierte Bekannte. 1952 erhielt er den ersten Fremdauftrag zur Bemalung eines Appenzeller Schrankes. Die Wiesen und Wälder, die Bauernhäuser, Blumen und Garten, Menschen und Tiere, die Alpaufzüge und andere Volksfeste, die Hügel und Berge dahinter, der helle Himmel des Appenzells waren hinfort fast ausschliesslicher Gegenstand seines künstlerischen Schaffens. Besonders angespornt wurde Binder damals von einer Witwe, deren Mann Kunstmaler war. Sie schenkte Binder die restlichen Ölfarben und Leinwandteile.


Senntummalerei

Die sogenannte „Senntummalerei" zählt heute in der Schweiz zum wohl interessantesten Gebiet der Volkskunst in Appenzell und Toggenburg. Man versteht darunter meist Tafelbilder mit Darstellungen aus dem Sennen- und Bauernleben (Almwirtschaft und Brauchtum), die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden. Besonders gern wurde die Alpfahrt dargestellt. Besonders begehrt sind die sogenannten „Bödeli". Sie wurden geschaffen, um in die Böden der Melkeimer, welche die Sennen beim Herumziehen trugen, eingesetzt zu werden und so den ganzen Alpzug noch festlicher zu gestalten. Der im 19. Jahrhundert wohl bekannteste und auch produktivste Senntummaler war laut Bruno Bischofberger Johan­nes Müller, der zwischen 1806 und 1897 in Stein lebte. Unter Müllers direktem Einfluss stand Johannes Zülle. Zu den bekannteren Senntummalern zählten um die Jahrhundertwende Franz Anton Haim, Johann Jakob Heuscher, Johann Baptist Zeller, Johannes Rechsteiner, Johann Ulrich Knechtli, Huldrich Zimmermann und später Jakob Vetter, Johannes Keller, Josef Anton Moser, Johannes Langenegger, Hermann Naef, Gottlieb Feurer und als Vertreterin des „schwachen Geschlechts" Anna Barbara Aemisegger-Giezendanner, genannt „Babeli Giezendanner". In Schönengrund, wo Binder bis 1954 blieb, bekam er eine weitere Stelle als Elektriker. Binder: „Dort ging ich meiner Arbeit nach, die mir damals 2.20 Schweizer Franken pro Stunde einbrachte, neun Stunden am Tag, am Samstag bis 16 Uhr nachmittags, und das alles ohne Zuschlag." in Urnäsch (bis 1956) lernte Jakob Binder einen Friseur kennen, der leidenschaftlicher Blumenmaler war. Mit ihm schloss Binder Freundschaft. Er malte Blumenbilder für Binder und dieser Appenzeller Landschaften für den Fri­seur. Ab 1958 wohnte Jakob Binder in Waldstatt (bis 1960) und erhielt dann eine Stelle in Herisau (bis 1963) und kam schliesslich über St. Gallen nach Oberriet im Kanton St. Gallen.


Ein "Bödeli", welches jeweils im Melkeimer eingesetzt wurde


Intensive Beschäftigung mit der Malerei

 

Nachdem Jakob Binder bereits seit den frühen fünfziger Jahren Senntumbilder zu malen versuchte, begann er 1965 unter dem Einfluss ihm bekannter Arbeiten von Müller und Zülle und besonders Ulrich Martinelli, sich intensiver mit der Senn­tummalerei zu befassen. Ab 1969 stellte er solche Bilder in immer grösserer Anzahl her. Im Anfangsstadium seiner Senntum­malerei tappte Binder gleich in so manches Fettnäpfchen, vor allem was die Genauigkeit von Sitte und Brauch betrifft.

Als gebürtigem Tiroler waren ihm nämlich gewisse Dinge im Bauernleben fremd, die ihm schliesslich als „Kunstfehler" angekreidet wurden. Wie sollte er auch wissen, welche Ohrringe beispielsweise auf welcher Seite getragen werden, wo welches Brusttuch geknüpft wird und welche Farbe es haben muss. Manchmal führte dies sogar dazu, dass Binder ein Bild ausbesserte bzw. teilweise übermalte. Mit der Zeit konnte sich Binder aber gerade dadurch ein besonderes Wissen über die „wichtigsten Dinge" in der Senntummalerei aneignen und somit noch grössere Sympathie bei den Kunstfreunden erzielen.

 

Mit der Zeit begann sich Jakob Binder auch an grössere Bilder von Alpfahrten heranzuwagen, und bald folgten Winterszenerien, Wirtsstuben, ja so ziemlich alles, was ihm am Appenzellerland gefiel. Er malte in der Regel alles aus der "Phantasie". Es ist allerdings eine Phantasie, die er sich zuerst mit offenen Augen geholt hat, Stück für Stück. Aber auch eine Phan­tasie, die der streng umgrenzten Volkskunst, die auf ebenso strengen Traditionen beruht, nicht entspricht. Was seine Bilder keineswegs weniger dekorativ macht, was aber die Fachwelt als Mittelding zwischen Volkskunst und naiver Kunst beurteilt. Schon die Maltechnik - Binder arbeitet zeitweise sogar mit der Lupe - erlaubt es ihm nicht, ausserhalb seines Ateliers zu malen. Seine Vorstellungen bringt er zuerst auf einem „Schmierblatt" zu Papier. Ein weiterer Arbeitsgang ist das Grundieren des Bildes, dann wird die Zeichnung aufgetragen, und mit den Feinheiten wird das Kunstwerk abgeschlossen. So kann es mehrere Wochen dauern, bis ein Bild vollendet ist. Seinen Stil bezeichnet Jakob Binder als naiv-realistisch. Naiv deshalb, weil Perspektivenfehler auf seinen Bildern vorkommen dürfen, und realistisch dank der exakten Ausarbeitung der Details.

 

Als Binder bereits im Flachland, nämlich Oberriet im St. Galler Rheintal wohnte, zog es ihn immer noch in sein Appenzeller „Paradies" hinauf. Dort setzte er sich vor die Bauernhäuser und in die Wirtsstuben, wo er stundenlang zeichnete. „Skizzieren - gümmele, gümmele - skizzieren" nannte er das.



Freunde, Wegbegleiter und Kunden


Jakob und Silvia Binder mit dem bekannten Fernsehmoderator Wisl Gyr


Ebenfalls Besitzer von Binders Kunstwerken;  Walter Roderer


Bildübergabe an Gunter Sachs


Erste Ausstellungen in Zürich und Basel

1974 stellte Jakob Binder in der Galerie Susi Brunner in Zürich aus.


Heile Bauernwelt bis ins Detail

 

Bei vielen seiner Bilder ist der Hintergrund echt, meistens die Alpsteinkette oder die Churfirsten. Der Rest aber, wie die Szenen, Menschen, Gegenstände und Tiere - sind zwar auch echt, aber mit Phantasie zusammengestellt. Wenn der Betrachter sich einem Bild von Jakob Bin­der nähert, fallt ihm die besondere Ausar­beitung bis aufs kleinste Detail auf. Gesichtszuge und Ausdrucke wechseln von Figur zu Figur. Der Künstler gibt dann auch zu, ein scharfer Beobachter zu sein. Vor allem auf Märkten schaue er sich gerne um, und er habe im Laufe der Zeit eine Beobachtungstechnik entwickelt, die dem Betroffenen nicht auffalle. Sein fotografisches Gedächtnis komme ihm dabei besonders zugute, wenn er mit der Lupe die Details eines Gesichtes aus der blossen Erinnerung nachzeichne. „Das hat jedoch nichts mit Intelligenz zu tun. Seit ich voll beruflich male, wurde das einfach zu meiner zweiten Natur, so wie das Appenzellerland zu meiner zweiten Heimat geworden ist. Und manchmal muss ich sogar über mich selber staunen", meint Binder kopfschüttelnd und lachend.

 

 Aus echten Versatzstücken der heilen Bauernwelt malt er sich seine eigene Bauernwelt. „Denn", sagt er zu sich selbst, „ich wollte diese schone Zeit festhalten, solange es sie noch gab."

Heute muss man sich fragen, ob es sie in Wirklichkeit noch gibt, denn vieles hat sich geändert. Sicher ist nur, dass es die heile Welt auf Jakob Binders Bildern immer noch gibt.

 


Erstmals an der Basler Kunstmesse

1973 schaffte Bruno Bischofberger für Jakob Binder einen internationalen Namen, indem er ihn auf der internationa­len Kunstmesse in Basel vorstellte. 1m Katalog „Art 4'73" findet man ihn neben Andy Warhol, der ebenfalls von Bruno Bischofberger gemanagt wurde. Die Basler Kunstmesse bildete das Sprungbrett für Binders weitere Karriere. Binders Gedanken gehen immer wieder zurück zum Beginn seiner Karriere bei Bruno Bischofberger: „Wenn ich so nachdenke, was Bruno Bischofberger für mich tat, muss ich heute leider gestehen, dass meine Dankbarkeit zwar im Herzen lag, ich mich aber in den Wirren dieser Jahre zu wenig darüber offenbarte. So ging auch meine Dankbarkeit für Walter Roderer, dem bekannten Schweizer Schauspieler, und Hansjorg Baal, die meiner Volkskunst sehr zugetan waren, in den Turbulenzen der Zeit fast unter. Walter Roderer war es ein Herzensanliegen, dass ich für meine Werke einen entsprechenden Ausstellungsplatz bekomme."

 

Ab diesem Zeitpunkt ging es mit Jakob Binder steil bergauf. 1973 wurde er im ausführlichen Kunstband „Volkskunst aus Appenzell und dem Toggenburg", Sammlung Bruno Bischof­berger, erstmals ausführlich in Wort und Bild erwähnt. „Seine Bilder", so heisst es, lehnen sich sehr stark an sein Vorbild Martinelli an, wenn er auch im Detail eine eigene Sprache gefunden hat."

 

Binder mit dem österreichischen Botschafter in St. Gallen


Publikumspreis 1979 der Galerie Pro Arte in Morges